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Ludwig der Gebartete: Ein bayerischer Herzog mit europäischem Kunstgeschmack

Ludwig der Gebartete: Ein bayerischer Herzog mit europäischem Kunstgeschmack

Von Prof. Dr. Stephan Hoppe //

Die sehr aufwändige und seit dem 13. Jahrhundert an verschiedenen Orten immer wieder langfristig Maßstäbe setzende Hofkultur der Wittelsbacher taucht in der letzten Zeit vermehrt in Ausstellungen, Publikationen oder in Gestalt restaurierter baulicher Überlieferungen auf. Im Gegensatz aber zu den gut bekannten und viel besuchten Residenzorten wie München, Heidelberg oder Schwetzingen sind viele Aspekte der frühen Kunstpolitik dieser Dynastie noch nicht umfassend bearbeitet worden oder gar für ein breiteres Publikum inhaltlich zugänglich.

Schloss Neuburg an der Donau, Bauteile aus der Zeit Ottheinrichs von der Pfalz (1530er Jahre), mit späteren Veränderungen
Schloss Neuburg an der Donau, Bauteile aus der Zeit Ottheinrichs von der Pfalz (1530er Jahre), mit späteren Veränderungen

Einen weiteren Baustein zum besseren Verständnis der sich europaweit aufspannenden Netzwerke Wittelsbacher Kunstpolitik am Übergang von Mittelalter zu Renaissance liefert noch bis zum 7. August die aktuelle Ausstellung „Kunst und Glaube“ der staatlichen Schlösser und Gärten in Bayern in Schloss Neuburg an der Donau. Zunächst erhält man den Eindruck, als ginge es hier um den schon gut bekannten, 1502 geborenen Pfalzgrafen Ottheinrich aus dem Haus Wittelsbach, der sich durch die politischen Umstände mit einer kleinen Nebenherrschaft arrangieren musste und diesen Prestigeverlust sichtlich durch exquisite Kunstaufträge kompensierte, die dann allerdings zu seinem Bankrott führten.

Schloss Neuburg an der Donau, Blick in die Ausstellung "Kunst & Glaube. Ottheinrichs Prachtbibel und die Schlosskapelle Neuburg" Foto: Karina Hagemann, Pressebild © Bayerische Schlösserverwaltung
Schloss Neuburg an der Donau, Blick in die Ausstellung „Kunst & Glaube. Ottheinrichs Prachtbibel und die Schlosskapelle Neuburg“ Foto: Karina Hagemann, Pressebild © Bayerische Schlösserverwaltung

Neben diese Persönlichkeit aus dem frühen 16. Jahrhundert trifft der Besucher aber in der Ausstellung auf einen weiteren Wittelsbacher, der viel weniger bekannt ist: Herzog Ludwig der Gebartete aus der Linie Bayern-Ingolstadt. Herzog Ludwig nahm eine besondere Stellung dadurch ein, dass seine Schwester Elisabeth (Isabeau) seit 1385 mit dem französischen König Karl VI. verheiratet war, der mit zunehmendem Alter durch eine Geisteskrankheit regierungsunfähig wurde. Ludwig lebte aufgrund dieser Familienbeziehungen längere Zeit in Paris und nahm aktiv an der dortigen Politik teil. De facto hatte er zeitweilig sogar die Regentschaft des französischen Königreiches inne.

In der westlichen Metropole entwickelte sich Ludwig auch zu einem exzellenten Kenner der aktuellen Kunstentwicklungen, eine Kompetenz, die durch einen längeren Aufenthalt am Hofe des Königs von Ungarn ergänzt wurde. Da sein bayerisches Herzogtum mit seinem Tode an seine gehassten  Verwandten in Landshut fiel, sind es heute nur noch Fragmente, wie zum Beispiel seine exorbitante Kirchenstiftung in Ingolstadt, die ein Zeugnis von seinem Wirken ablegen.

Hans Multscher, Entwurfsmodell für das Grabmal Ludwig des Gebarteten, um 1430 (Bayerisches Nationalmuseum)
Hans Multscher, Entwurfsmodell für das Grabmal Ludwig des Gebarteten, um 1430 (Bayerisches Nationalmuseum)

Ein weiteres Kunstprojekt, das ansonsten aus naheliegenden konservatorischen Gründen nicht permanent der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, ist ein von ihm um 1430 in Auftrag gegebene Bibel, in der der Text in deutscher Sprache durch eine Vielzahl von großformatigen Miniaturen begleitet wurde.

Diese in Regensburg von mehreren Meistern angefertigten eindrucksvollen Miniaturen zeigen ein spezielles Interesse an aktuellen künstlerischen Entwicklungen der Zeit, wie es damals nicht selbstverständlich für einen deutschen Fürsten war. Wie auch an anderen Orten, zum Beispiel neben Paris in den Niederlanden, in Burgund und am Hofe des Herzogs von Berry werden hier neue künstlerische Mittel des Erzählens und der Vergegenwärtigung der sichtbaren Welt ausprobiert. Der sogenannte Schöne Stil aus der Zeit um 1400 und seine für einen allgemeinen Hofgebrauch taugliche repräsentative Formensprache wird hier abgelöst durch teilweise sehr drastisches Erzählen und einen neuartigen, immersiven Realismus. Die bewegten Posen und Physiognomien und genau beobachteten Figuren ergreifen noch heute den Betrachter. Dabei nutzten die Regensburger Miniaturmaler auch ältere kompositorische Errungenschaften, die im Umkreis des Freskenmalers und künstlerischen Erneuerers Giotto schon ein Jahrhundert zuvor in Italien entwickelt worden waren und schnell ein aufgeschlossenes Publikum gefunden hatten.

Ottheinrichsbibel, Letztes Abendmahl, erste Ausstattungsphase um 1430 (Bayerische Staatsbibliothek)
Ottheinrichsbibel, Letztes Abendmahl, erste Ausstattungsphase um 1430 (Bayerische Staatsbibliothek)

In der Neuburger Ausstellung können eine größere Anzahl von Originalblättern aus dieser nach ihrem späteren Besitzer und Vollender sogenannten Ottheinrichsbibel unter sehr guten Bedingungen studiert werden. Sie werden ergänzt durch klug ausgesuchte Leihgaben aus anderen Museen, unter denen zum Beispiel die Arbeiten eines nur unter einem Notnamen bekannten Malers aus Regensburg hervorstechen, des sogenannten Meisters der Worcester-Kreuztragung (Master of the Worcester Carrying of the Cross). Weitere exzellente Kunstwerke wie zum Beispiel ein Reliquienkreuz (Stephanskreuz um 1400, Kat.-Nr. 6.7) oder die Skulptur des sonst in Frankfurt im Liebighaus zu sehenden grandiosen Gnadenstuhls von Hans Multscher aus Ulm (Kat.-Nr. 6.8) ergänzen diesen Teil der Ausstellung zur bildenden Kunst an einem bayerischen Hof in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Der Besuch dieser Ausstellung kann nur uneingeschränkt empfohlen werden, und bei weiten Teilen der Exponate handelt es eine fast einmalige Gelegenheit, hier an den Originalen neue Aspekte der Kunst an der Schwelle zwischen Mittelalter und Renaissance zu entdecken.

Ein weiteres Faszinosum der Ausstellung ist dann die Weiterführung dieses illuminierten Bibelprojektes aus dem frühen 15. Jahrhundert unter der Regie des späten Wittelsbacher Verwandten Pfalzgraf Ottheinrich. Unter Ottheinrich wurde nicht nur Ludwigs Bibel um 1530 nun erst vollständig illuminiert, sondern die Ausstellung besticht auch in ihrem Konzept, diese Beschäftigung mit dem biblischen Thema dann auf die innovative Ausmalung der Neuburger Schlosskapelle in den 1540er Jahren an Wänden und Gewölbe beziehen. Dieses schon recht gut erforschte, aber immer noch zu wenig bekannte Raumkunstwerk aus der Reformationszeit und frühes Beispiel der neuzeitlichen Deckenmalerei wird hier in einem adäquaten Kontext des intellektuellen Lebens eines vorangegangenen Jahrhunderts gestellt.

Schloss Neuburg an der Donau, Ausmalungsdetail in der Schlosskapelle von Hans Bocksberger dem Älteren 1543
Schloss Neuburg an der Donau, Ausmalungsdetail in der Schlosskapelle von Hans Bocksberger dem Älteren 1543

Natürlich lohnt auch der Besuch des Neuburger Schlosses selbst, das erst ab den 1970er Jahre aus einem Dornröschenschlaf geholt wurde und noch manche architekturhistorische Geheimnisse birgt. Der Katalog zur Ausstellung erläutert sehr gut die Hintergründe beider Buchprojekte und ist mit exzellenten Abbildungen versehen.

Eine persönliche Literaturempfehlung, die auch etwas mit Wittelsbachern im frühen 15. Jahrhundert zu tun hat: Hans Belting, Dagmar Eichberger: Jan van Eyck als Erzähler. Frühe Tafelbilder im Umkreis der New Yorker Doppeltafel, Worms 1983.

Literatur

Brigitte Langer, Thomas Rainer (Hrsg.): Kunst&Glaube. Ottheinrichs Prachtbibel und die Schlosskapelle Neuburg, Ausst.Kat. Schloss Neuburg a.d. Donau, Regensburg 2016.

http://resikom.adw-goettingen.gwdg.de/artikel.php?ArtikelID=64

Claudia Märtl: Frankreich. Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt (1368–1447) und seine Schwester Isabeau am französischen Königshof. In: Alois Schmid, Katharina Weigand (Hrsg.): Bayern mitten in Europa. Vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52898-8 , S. 107–120.


Stephan Hoppe ist Professor für Kunstgeschichte an der LMU München. Seine Forschungsschwerpunkte sind höfische Architektur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Sozial- und Funktionsgeschichte von Architektur, Bildmedien der Architektur sowie digitale Kunstgeschichte.

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