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Aufstieg vom Pagen zum Minister – umfangreiche Biografie zum Sachsen-Gotha-Altenburgischen Staatsmann Hans Wilhelm von Thümmel erschienen

Aufstieg vom Pagen zum Minister – umfangreiche Biografie zum Sachsen-Gotha-Altenburgischen Staatsmann Hans Wilhelm von Thümmel erschienen

Von Marlene Hofmann, Museum Burg Posterstein //

In seinen Aphorismen äußerte sich Hans Wilhelm von Thümmel (1744–1824) oft abschätzig über die höfische Etikette. Es klingt an, dass er dem freieren Umgang den Vorzug gab: „An den großen Höfen führt die Oberhofmeisterin Etikette die Prinzessin Langeweile auf den ihr gehörigen Sitz, und befiehlt ihr, mit wem sie tanzen und sich freuen soll. In den Versammlungsorten, wo man keinen Anspruch auf Etikette macht, bringt die Gesellschafts-Dame, Zerstreuung genannt, wohl manchmal die Freude an der flatternden Locke in die Umgebungen einer liebenswürdigen Fürstin.“[1]

Trotzdem gab Thümmel viel auf ausgefallene Feste und Geselligkeit, nicht zuletzt waren die Salons und Festsäle in seiner Zeit der Ort, wo Austausch stattfand, Netzwerke geknüpft, Allianzen geschmiedet und politische Entscheidungen auf den Weg gebracht wurden.

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Abb. 1: Hans Wilhelm von Thümmel, Stich nach einem Gemälde von Grassi, Museum Burg Posterstein

 

Im Zusammenhang mit der Thüringer Landesausstellung „Die Ernestiner – eine Dynastie prägt Europa zeigt das Museum Burg Posterstein bis 31. Oktober 2016 eine Sonderausstellung und veröffentlichte die bisher umfangreichste Biografie zum Sachsen-Gotha-Altenburgischen Staatsmann Hans Wilhelm von Thümmel. Der aufgeklärte Diplomat und Staatsdiener stand ganze 57 Jahre im Dienst der Sachsen-Gotha-Altenburgischen Herzöge Ernst II. (1745–1804) und August (1772–1822). Er stieg vom Pagen zum Geheimen Rat und Minister auf. Als Diplomat reiste er unter anderem nach Frankfurt, Berlin und Paris.

Thümmel gehörten nicht nur ein Palais mit weitläufigem englischem Garten in Altenburg, das Rittergut Nobitz und das von ihm gegründete Ausflugslokal „Polnische Hütte“. Im Besitz seiner Familie befanden sich auch die Rittergüter in den Postersteiner Nachbarorten Untschen und Nöbdenitz. Von dort aus ist es nur rund drei Kilometer bis Löbichau, wo die weltgewandte und reiche Herzogin Anna Dorothea von Kurland (1761–1821) in den Sommermonaten einen belebten Salon, den „Musenhof Löbichau“ führte. Als bedeutendster und einflussreichster Staatsmann des Altenburger Landesteils zählte Thümmel zu den regelmäßigen und gern gesehenen Gästen. Die Herzogin, der das Museum Burg Posterstein schon über 20 Jahre intensive Forschung und einen Teil der Dauerausstellung gewidmet hat, nannte er „nach dem Souverain“ die Vornehmste im Lande[2] und sich selbst bezeichnete er mehrfach als ihr innigster „Verehrer“.

Auf Umwegen in den Staatsdienst

Als eines von 19 Kindern des kurfürstlich-sächsischen Landkammerrats Karl Heinrich von Thümmel (1710–1788) und Ludomilla Charlotte Sabine (1711–1785), einer geborenen von Böhlau, kam Hans Wilhelm von Thümmel am 17. Februar 1744 auf dem Rittergut Schönefeld bei Leipzig zur Welt. Die Eltern mussten ihr Gut als Hans Wilhelm zehn Jahre alt war wegen finanzieller Schwierigkeiten verkaufen und siedelte nach Zwickau über. Auch das Studium, das er als Jugendlicher gemeinsam mit seinem später als Dichter sehr berühmten Bruder Moritz August von Thümmel (1738–1817) an der Universität Leipzig begonnen hatte, musste Thümmel wegen der Geldprobleme der Familie abbrechen. Ein solches Studium gehörte mit der Zugehörigkeit zum Adel und dem Nachweis von mindestens 16 adligen Vorfahren zu den Voraussetzungen für eine Laufbahn im Staatsdienst – dem jungen Mann blieb daraufhin nur der längere Weg über die unterste Stufe der Karriereleiter. Durch seinen Patenonkel, den Oberhofmarschall Hans Adam Friedrich von Studnitz (1711–1788), bekam der etwa 16-jährige Thümmel eine Pagenstelle bei Herzogin Luise Dorothea (1710–1767) am Gothaischen Hof. Zu den beinahe gleichaltrigen Prinzen Ernst und August (1747–1806) knüpfte Thümmel im Laufe der Jahre ein gutes Verhältnis.

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Abb. 2: Gotha, Stich von Wagner und Dawson, Museum Burg Posterstein

 

Die Pagen, 1763 waren es insgesamt 16 am Gothaischen Hof, verrichteten kleine Dienste unter Aufsicht eines „Pagen-Hofmeister“ und sollten so für einen späteren Hofdienst ausgebildet werden. Die gebildete und aufgeklärte Herzogin Luise Dorothea, die mit einschlägigen Gelehrten, allen voran Voltaire (1694–1778), befreundet war, nahm den jungen Thümmel unter ihre Fittiche. Dass er ihr später ein längeres Portrait in der von ihm verfassten Geschichte des Herzogtums widmete, begründete Thümmel mit den Worten: „Der Meinung, als gehörten solche Rückerinnerungen nicht wesentlich in die Geschichte der Landesregenten, begegne ich damit, daß ich diese geschichtlichen Ueberlieferungen von dieser Fürstin an, zugleich als Memoires de mon temps betrachtet zu wissen wünsche, da in ihrem Zeitalter in Gotha mein eigenes Wirken begonnen hat. – Auch die kleinen Züge gehören neben die großen eines charakteristischen Gemäldes.“[3]

1765 stieg Thümmel zum Hofjunker und wenig später zum Kammerjunker an der Kammer in Gotha auf. Schon 1768/69 gelangte er zu Reiseerfahrungen in Italien und Frankreich. Er ließ sich begeistern vom neuen klassizistischen Baustil, dem Gedankengut der Aufklärung und der neuen englischen Gartenkultur. Seine Kenntnisse der französischen Sprache waren ausgezeichnet. 1771 wählte ihn Prinz August als einen seiner Reisebegleiter auf seiner Grand Tour nach Italien, wo sie in Ferney am Genfer See auch Voltaire, dem einflussreichsten Philosoph der europäischen Aufklärung, trafen. 1786 begleitete Thümmel seinen Landesherrn Ernst II. und dessen Gemahlin Charlotte Amalie (1751–1827) sowie den Astronomen Franz Xaver von Zach (1754–1832) auf eine Reise ins südliche Frankreich. Dort wurden gemeinsam Himmelsbeobachtungen angestellt.

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Abb. 3: Selbst sein Grab war geprägt von den Gedanken der Aufklärung: Hans Wilhelm von Thümmel ließ sich in der 1000-jährigen Eiche in Nöbdenitz, Thüringen, bestatten (Nach der Natur gezeichnet von R. Lange, Holzstich, Museum Burg Posterstein)

 

Die Eindrücke der neuen geistigen und künstlerischen Ansätze, das Erleben antiker Baukunst und der Architektur Andrea Palladios (1508–1580) und das Zusammentreffen mit Geistesgrößen seiner Zeit prägten Thümmel und inspirierten ihn zeitlebens. Im Laufe seiner Karriere war er für den Bau verschiedener klassizistischer Gebäude und die Gestaltung moderner englischer Gartenanlagen in Gotha und Altenburg verantwortlich.

Auf der politischen Karriereleiter nach ganz oben

Thümmel stieg unter der Regierung seines Freundes und Vertrauten Ernst II. schnell auf: Er wurde 1773 Kammerrat an der Gothaer Kammer und 1776 Kammerherr, was der Aufnahme in den unmittelbaren Hofdienst gleichkam. 1783 ernannte ihn Ernst II. zum Vizepräsident der Altenburger Kammer, außerdem gehörte Thümmel dem Obersteuerkollegium an. 1790 folgte seine Ernennung zum Geheimen Rat, Präsident der Altenburger Kammer und Direktor des Obersteuerkollegiums. Ab 1796 gehörte er neben seinen bisherigen Funktionen als einer von drei Räten dem Geheimen Ratskollegium in Gotha an, das allen anderen Behörden vorstand. Darüber hinaus wurde er Direktor des neu gegründeten Altenburgischen Armenswesens. 1804 starb Ernst II. und Thümmel organisierte dessen schlichtes Begräbnis auf der Insel im Gothaer Park getreu nach den Wünschen des langjährigen Freundes. Nach Regierungsantritt Herzog Augusts (1772–1822) wurde er wirklicher Geheimer Rat, Minister und Baudirektor in Gotha.

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Abb. 4: Sektionskarte VIII aus dem Thümmelschen Kartenwerk, Museum Burg Posterstein

 

Das Vertrauen, das Thümmel bei seinen Landesherren genoss, prädestinierte ihn für komplizierte diplomatische Missionen. Frankfurt, Berlin, Warschau und Paris gehören zu den Orten, in denen er tätig wurde. Für den Altenburger Landesteil bedeutend ist vor allem das von ihm in Auftrag gegebene Kartenwerk – aber auch solch ein regionales Projekt war in der Zeit der napoleonischen Kriege von internationalem Interesse, wie bei der Auswertung von Thümmels Pariser Tagebuch und diplomatischen Briefe deutlich wurde. Gute Karten besaßen hohe militärische Bedeutung. Napoleon ließ Thümmels Aktivitäten quasi beaufsichtigten und Thümmel passte die Gestaltung seines Kartenwerks an den „Geschmack“ des Kaisers an.

Ein vielseitiger Staatsmann in einer bewegten Zeit

Dass Hans Wilhelm von Thümmel ein bedeutender Minister im Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg gewesen ist, war der Anlass zur Sonderausstellung „Im Dienste der Ernestiner – Hans Wilhelm von Thümmels Aufstieg vom Pagen zum Minister“. Wie weit sein Einfluss und sein Aufgabenspektrum wirklich reichten, wurde im Laufe der intensiven Recherchen für Ausstellung und Buch immer deutlicher. Im Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Gotha befindet sich ein Tagebuch Thümmels aus seiner Zeit als Gesandter in Paris. Korrespondierend mit den Tagebuchaufzeichnungen fanden sich noch über 200 diplomatische Briefe, die ebenfalls in die Auswertung einbezogen wurden. Ein weiteres Tagebuch Thümmels aus seiner Gesandtschaftszeit in Berlin gilt als verschollen, erschien aber 1830 in Auszügen in der Zeitung für die elegante Welt. Im Kirchenarchiv Nöbdenitz fanden sich Details zur außergewöhnlichen Beerdigung Thümmels unter der 1000-jährigen Eiche in Nöbdenitz. Den uralten Baum kann man heute noch besichtigen. In Ausstellung und Katalog konnten noch weitgehend unbekannte Ansichten, Gemälde, Dokumente und sogar der Grundstein des Thümmelschen Palais in Altenburg gezeigt werden. Das Thümmelsche Kartenwerk liegt der Biografie in Form von frei verwendbaren, hochauflösenden Dateien auf DVD bei.

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Abb. 5: Buchtitel „Im Dienste der Ernestiner – Hans Wilhelm von Thümmels Aufstieg vom Pagen zum Minister“, Museum Burg Posterstein, 2016

 

Zum Buch:

Im Dienste der Ernestiner: Hans Wilhelm von Thümmels Aufstieg vom Pagen zum Minister

Museum Burg Posterstein, 2016 (168 Seiten, farbig, ISBN 978-3-86104-136-8, 20.00 Euro)

Erhältlich im Museum oder per E-Mail-Bestellung (zzgl. Versandkosten) an museum@burg-posterstein.de.

 

http://www.burg-posterstein.de/start/startseite-museum/publikationen/


Burg Postersteins bloggt: burgposterstein.wordpress.com

Blog zur Thüringer Landesausstellung „Die Ernestiner“: http://www.ernestiner2016.de


[1] Schuderoff, Jonathan Dr. (Hrsg.): Aphorismen aus den Erfahrungen eines Sieben-und-Siebzigjährigen von Hans von Thümmel geh. Rath und Minister ec. ec., 2. Auflage, Altenburg 1821, Nr.74, S. 31.

[2] Thümmel, Hans Wilhelm von: Historische, statistische, geographische und topographische

Beyträge zur Kenntniß des Herzogthums Altenburg, Altenburg 1818, Dritter Abschnitt, S. 1.

[3] Thümmel, Hans Wilhelm von: Historische, statistische, geographische und topographische

Beyträge zur Kenntniß des Herzogthums Altenburg, Altenburg 1818, Zweiter Abschnitt, S. 63.

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