Der um 1600 entstandene „Mohrenkopfpokal“ ist die dreidimensionale Umsetzung eines Wappens. Dieser Beitrag stellt neue Erkenntnisse zu seinem Entstehungskontext und potenziellen Auftraggeber vor.
Der sog. „Mohrenkopfpokal“ des Nürnberger Goldschmieds Christoph Jamnitzer (1563-1618) gibt Kunsthistoriker/innen bis heute einige Rätsel auf. Der um 1600 entstandene, 1996 wiederentdeckte Prunkpokal aus dem „Schatz der Wettiner“ befindet sich im Bayerischen Nationalmuseum in München. Er ist das einzige bekannte Beispiel eines großformatigen Trinkgefäßes in Form eines dunkelhäutigen Männerkopfes. Vermutlich diente der Pokal als „Willkomm“, d.h. er wurde Gästen zum (hochprozentigen) Willkommenstrunk gereicht – solche Trinkrituale waren in der gehobenen Gesellschaft nördlich der Alpen vom 15. bis 18. Jahrhundert weit verbreitet.
Der aus Silber gearbeitete und farbig gefasste, nach antikem Schönheitsideal streng symmetrisch gestaltete Kopf wird von einem aufwendig ornamentierten Fuß getragen. Auf dem Scheitel ist ein mit bunten Kristallen besetzter Federbusch montiert, mit dem man die Schädelkalotte als Deckel abnehmen kann. Auf dem Kopfband erscheint achtmal der Buchstabe „T“. Auf der Unterseite des Halses sind ein Greifvogel und ein waagrechtes Band mit drei abnehmenden Halbmonden dargestellt.
Aufgrund dieser Insignien wurde der „Mohrenkopfpokal“ bereits im 19. Jahrhundert mit den italienischen Patrizierfamilien der Strozzi und der Pucci in Verbindung gebracht.1 Das Wappen der Pucci zeigt den Kopf eines dunkelhäutigen Mannes, der eine Kopfbinde mit drei liegenden Hämmern bzw. „T“ trägt. Die Strozzi verwendeten eine horizontale Binde mit drei abnehmenden Halbmonden sowie einen Falken.2 Arthur Pabst folgerte daher, dass der Pokal 1615 anlässlich der Hochzeit Filippo Strozzis mit Maria Puccis in Auftrag gegeben worden sei. Die Beschaumarken am Pokal ergeben allerdings eine frühere Datierung zwischen 1593/94 und 1602.3 Damit scheidet die Strozzi-Pucci-Hochzeit von 1615 als Anlass für die Fertigung des Pokals aus.
Und wie sollte der Pokal in den Besitz der Wettiner gelangt sein? Schon 1642 befand er sich nachweislich im Nachlass der verstorbenen Kurfürstinwitwe Hedwig von Dänemark. Nach Jørgen Hein sollte der „Mohrenkopfpokal“ daher 1602 anlässlich der Hochzeit Hedwigs von Dänemark mit Kurfürst Christian II. von Sachsen angefertigt worden sein.4 Die heraldischen Details am Pokal lassen sich aber weder mit dem Dresdner Hof noch mit Hedwig von Dänemark in Verbindung bringen.
Der entscheidende, bisher unbeachtet gebliebene Hinweis zur Herkunft des „Mohrenkopfpokals“ liegt im Österreichischen Staatsarchiv. Dort wird eine Urkunde vom 12.01.1586 aufbewahrt, die den aus Florenz stammenden Brüdern Carl (Carlo) und Marius Albertinelli ihre Adelszugehörigkeit bestätigt. Gleichzeitig bessert das Dokument das Wappen der Albertinelli-Brüder durch Verbindung mit dem Wappen ihrer Mutter, die eine Strozzi gewesen war.5 Fortan bestand das Wappen der Albertinelli aus dem Mohrenkopf der Pucci (hier mit 4 „T“) und dem Falken und den drei Halbmonden der Strozzi. So zeigen es auch die Wappenbücher des 17. und 18. Jahrhunderts.
Der in der Urkunde genannte, in Nürnberg lebende Bankier und Kaufmann Carlo Albertinelli (gest. 1620) war mit einiger Sicherheit auch der Auftraggeber des „Mohrenkopfpokals“. Er verfügte über die finanziellen Mittel und den gesellschaftlichen Hintergrund, um eine solche skulpturale Umsetzung seines Wappens in Auftrag zu geben. Mit dem angesehenen Nürnberger Bürger Jamnitzer dürfte der Italiener, der im Zentrum eines florierenden Handelsnetzes stand, gut bekannt gewesen sein. Carlo Albertinelli war u.a. Agent und Gesellschafter des Nürnberger Handelshauses Torisani und Co. und Mitglied der 1588 gegründeten Nürnberger „Kränzleinsgesellschaft“, einem humanistischen Musik-Collegium.6 Er war darüber hinaus auch für Erzherzog Ferdinand tätig und lieh diesem eine beachtliche Summe Geld, wobei er durch die ausbleibende Rückzahlung selbst in Schwierigkeiten geriet.7
1609 machte Albertinellis Firma in Nürnberg schließlich bankrott, woraufhin dieser vor seinen Gläubigern zu Rudolf II. an den Kaiserhof nach Prag floh.8 Im selben Jahr war Christoph Jamnitzer, mittlerweile Ratsmitglied der Stadt Nürnberg, ebenfalls in Prag. Über den Kaiserhof kam evtl. auch eine Verbindung mit Christian II. von Sachsen zustande, der 1610 in Prag Kunstobjekte ankaufen ließ.9 Gelangte der „Mohrenkopfpokal“ auf diesem Weg an den Dresdner Hof und in den Besitz Hedwigs von Dänemark? Möglicherweise hatte Albertinelli ihn selbst weiterverkauft oder als Schuldenausgleich an Jamnitzer zurückgegeben. Oder hatte er den Pokal in Nürnberg zurückgelassen, wo er gepfändet wurde? Die genauen Umstände dieses Transfers bleiben vorerst im Dunkeln.
Zusatz, 3.04.2018
Unabhängig von meiner Recherche zu Hedwig von Dänemark hat auch Dr. Uwe Gast Carlo Albertinelli als potenziellen Auftraggeber des „Mohrenkopfpokals“ identifiziert. Er kann Albertinelli darüber hinaus auch einen weiteren Kunstauftrag zuweisen und bereitet zu diesem Themenfeld einen Aufsatz vor, der nächstes Jahr in der Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft erscheinen wird. Für diesen Hinweis danken wir Herrn Gast ganz herzlich.
1Arthur Pabst: Weitere Werke des Christoph Jamnitzer, in: Kunstgewerbeblatt I (1885), S. 129-130.
2Ausführlich mit Herleitung und Beispielen Lorenz Seelig: „Ein Willkomme in der Form eines Mohrenkopfs von Silber getriebener Arbeit“. Der wiederentdeckte Mohrenkopfpokal Christoph Jamnitzers aus dem späten 16. Jahrhundert, in: Der Mohrenkopfpokal von Christoph Jamnitzer, hg. v. Renate Eikelmann, München 2002, S. 19-123, S. 55-65.
3Ralf Schürer: Markenzeichen. Nürnberger Beschaumarken zur Zeit Christoph Jamnitzers, in: „Ein Willkomme in der Form eines Mohrenkopfs von Silber getriebener Arbeit“. Der wiederentdeckte Mohrenkopfpokal Christoph Jamnitzers aus dem späten 16. Jahrhundert, in: Der Mohrenkopfpokal von Christoph Jamnitzer, hg. v. Renate Eikelmann, München 2002, S. 125-131.
4Jørgen Hein: Der Mohrenkopfpokal von Christoph Jamnitzer. Provenienz, Deutung und Kontext, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst, 3. Folge 53 (2002), S. 163-174.
5AT-OeStA/AVA Adel RAA 4.1, http://archivinformationssystem.gv.at/detail.aspx?ID=1081994.
6Susanne Rode-Breymann: „Florilegium Portense“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 3, hg. v. Friedrich Jaeger, Stuttgart/ Weimar 2006, 1021.
7Geschichte Kaiser Ferdinands II. und seiner Eltern, Bd. 5, Schaffhausen 1852, S. 8.
8Mark Häberlein: Merchants‘ bancruptcies, economic development and social relations in German cities during the long 16th century, in: Thomas Max Safley (Hrsg.): The history of Bancruptcy. Economic, social and cultural implications in early modern Europe, New York 2013, S. 19-33, S. 21. Auch: Lambert F. Peters: Drei Handelsprozesse am Ende und als Folge des ‚Langen Türkenkrieges‘ (1593-1606), in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 96 (2009), S. 35-105.
9Seelig (wie Anm. 2), S. 26.