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Gedanken zu 3D, Digital Humanities und Architekturtheorie

Gedanken zu 3D, Digital Humanities und Architekturtheorie

Mit einem gefühlten Grad an Ahnungslosigkeit vergleichbar mit der Frage „Wer ist eigentlich dieser LAN und warum schmeißt er so viele Partys?“ bin ich vor Kurzem ins kalte Wasser der Digitalen Kunstgeschichte gesprungen!

Anlässlich der Vorbereitung zum Seminar ‚Kulturgut in 3D‘ im bevorstehenden Semester am Lehrstuhl für Digital Humanities der Uni Passau nehmen momentan Gedanken zu Möglichkeiten und Methoden des Digitalen, konkret der 3D Visualisierung und deren Potentiale im Einsatz in der Kunstgeschichte den größten Teil meiner Zeit ein. Praktisch geht es zum Einstieg um Photogrammetrie und RTI (Reflectance Transformation Imaging).

Das war bereits Anlass zur Sneakpeek-Ankündigung mit Making-of-Aufnahme:

Obiger Ankündigung wird auf diesem Weg Folge geleistet und ‚on-the-go‘ (Anglizismen ahoi!) eigene Überlegungen, Erfahrungen, Erkenntnisse und Ergebnisse (etwas Alliteration als Ausgleich) zu…

Ausgehend vom persönlichen fachlichen Herkunftsfeld der Architekturgeschichte und -theorie frag(t)e ich mich also: kann man dieses mit den Möglichkeiten digitaler Methoden verbinden, so dass idealiter für beide Seiten ein (Erkenntnis-)Gewinn entsteht?

Schon aus dieser ganz basalen Überlegung und Gegenüberstellung zeichnen sich die jeweiligen Schwerpunkte ab: Theorie einerseits und Praxis andererseits. Diese beiden Bereiche sind jedoch, gleich in welcher Disziplin, untrennbar miteinander verbunden, einer hat ohne den anderen keinen Bestand bzw. erst durch deren Kombination wird der Erkenntniswert als solcher greifbar.

Dass gerade Architekturgeschichte und Architekturtheorie sich für diese Verbindung besonders gut eignet, ergibt sich quasi definitionsgemäß. An dieser Stelle möchte ich die meiner Meinung nach besonders treffende Formulierung der rhtw Aachen aus der Liste von Architekturtheorie-Definitionen an deutschsprachigen Universitäten zitieren – doch auch viele der anderen lohnen einen Abstecher. 😉

Architekturtheorie ist die Theorie einer Handlungswissenschaft. Anders als naturwissenschaftliche Theorien, die provisorische Schneisen durch noch unerforschtes Gelände legen, verweist uns das Feld der AT auf Gründe, Haltungen und Weltanschauungen, welche das Handeln von Architekten motivieren und leiten. AT ist im Vorfeld von Entwurf und Herstellung angesiedelt. Sie beschäftigt sich mit Intentionen und Begriffen noch bevor diese sich in einem Werk konkretisieren. AT unterstellt, dass das Bauen ein bewusster, intentionaler, Symbol gebender und zuweilen normenkritischer Vorgang ist. Daher betrachtet sie die gebaute Wirklichkeit im Licht von Verfassererklärungen, Regeln, Traktaten, Dogmen und Doktrinen. Sie sucht auch dort nach Erklärungen und verborgenen Motiven, wo das Bauen scheinbar ganz ohne Theorie oder bekennende Autoren von statten geht.

AT unterstützt die Ausbildung individueller Kompetenzen. Sie fördert konzeptionelles Denken und rationales Handeln. Sie beschreibt die produktive Verkettung von Vorstellung und Entwurf; von Vorbild und Nachahmung; von Problem und Erkenntnis. Aufklärend wirkt Architekturtheorie in dem sie die Wahrnehmung und Analyse spezifischer Situationen befördert. Sie tut das, in dem sie Vergleichsmöglichkeiten anbietet und invariante, zeit- und ortsübergreifende Aspekte aufzeigt. Sie interessiert sich für Sachverhalte, die uns über den Horizont unmittelbarer und einmaliger Bezüge hinausführen. Sie fragt nach Ideen, Themen und Topoi, die im Verlauf der Geschichte entdeckt, vergessen und reaktiviert wurden.

AT ist eng mit dem Langzeitgedächtnis der Disziplin Architektur verknüpft. Sie bemüht sich um die Erschließung, um die Vermehrung und um die Weitergabe des verfügbaren Wissens ihrer Disziplin. Sie zeigt mögliche Zugänge zum Wissen und weist den Weg durch Enzyklopädien, Archive, Sammlungen. Der AT ist die Inventur des Wissens aufgegeben, das sie für die Disziplin der Architektur systematisiert und aufbereitet. Sie hilft bei der Auswahl von Gegenständen und befähigt zur Konstruktion von Fragestellungen. Als Teil einer Handlungswissenschaft gilt ihr Interesse der erfinderischen Aneignung historischen Materials. Sie hütet ein Erbe, von dem sie glaubt, dass es in zukünftigen Lagen hilfreich sein könnte.“

Gerade die im letzten Absatz angesprochenen Aspekte – „Erschließung, Vermehrung und Weitergabe verfügbaren Wissens“, „Zugänge“ zum und „Inventur des Wissens“, „Auswahl von Gegenständen“, „Konstruktion von Fragestellungen“, „erfinderische Aneignung historischen Materials“ – und besonders das Stichwort „Erbe“ machen die Verkoppelung mit den sog. Digital Humanities im Bereich der Kulturvermittlung offensichtlich:

„Cultural Heritage (CH) visualisations have to be understood as a combination of research sources, the contemporary historical and cultural context (Zeitgeist), project background and work process. All available information is collected, consolidated, filtered and assembled into a coherent picture. In case of digital 3D reconstructed models, the result is a digital data set that can be processed for different application fields. They are understood as a result of a complex creative process and as a synthesis of a CH research project, its CH context, the available research source material, and the modeling process itself.“(via Digital Heritage. Progress in Cultural Heritage: Documentation, Preservation, and Protection. Internat. Conference 2016)

Fasst man (historische) Gebäude als intermediale Gesamtkunstwerke (zur Abwechslung noch ein Germanismus) auf, lässt sich sowohl der Bogen zum Ausgangspunkt Architekturtheorie und –geschichte, als auch zum eigentlichen Blogthema Hofkultur als deren impliziter Bestandteil schlagen:

„Historische Architektur ist ohne ihre Ausstattung nicht zu denken. Die Gebäude, gleichgültig ob sakral oder profan, schufen den unverzichtbaren Rahmen für Werke der Malerei, Skulptur und anderer künstlerischer Medien. Diese fügen sich dem zugewiesenen Ort innerhalb der Bauten ein, erfüllen dort ihre Funktionen, entfalten auch ihre ästhetische Wirkung. Die Kunstwerke sind nur dann voll zu verstehen, wenn man sie als Teil eines architektonischen Ganzen begreift, das mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Dasselbe gilt auch für die Bauten selbst, die sich in eine stadträumliche oder landschaftliche Umgebung harmonisch einfügen oder aber mit ihr in Konflikt stehen und sich bewusst von ihr distanzieren. Der originale topographische Kontext ist heute allerdings häufig zerstört. Dadurch haben die Bauten und ihre Ausstattung ihre gleichsam natürliche Umgebung verloren, werden ort- und partiell sinnlos. Deshalb gehört es zu den grundlegenden Aufgaben einer historisch und am Objekt orientierten Kunstgeschichte, sich mit den intermedialen Kontexten historischer Architektur zu beschäftigen.(aus der Tagungsankündigung Intermediale Kontexte des AK deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger im Oktober 2016)

Kann es folglich sogar mehr oder weniger als Pflicht gesehen werden, die (relativ) neuen, sicher aber modernen digitalen Methoden und Medien als Art der visuellen Darstellung (und der ihr somit innewohnenden Ästhetik) als einen festen Bestandteil in die Architektur-, besser Kunstgeschichte und am besten  Kulturwissenschaften aufzunehmen?

In der Folge würde sich auch der Nischencharakter, der dem Digitalen (allein schon die Formulierung!) innerhalb der Kunstgeschichte nach wie vor anhaftet, auflösen. Weitergedacht scheint es daher, dass dessen breiter gestreuter Einsatz und damit eine optimierte Ausschöpfung der Potentiale letztlich sowohl den Fortschritt des ‚Digitalen‘ fördert als auch den Kunst- und Kulturwissenschaften insgesamt Vorteile bringt – eine Win-Win-Situation mit positiver Rückkopplung?

Dennoch: historischen Gebäuden als intermediale Gesamtkunstwerke wohnt ein spezieller Zauber inne, der durch Visualisierung (noch? / niemals ?) nicht ersetzt werden kann: als ‚begehbare Geschichte‘ ermöglichen sie es im Idealfall (etwa die Kombination aus historischem Kontextwissen und aktuellem Erhaltungszustand des Objekts) gleichzeitig in zwei Welten zu sein – diese Dimension ist auch mittels 3D nicht erfahrbar. Das bedeutet, die Feststellung, dass die Besichtigung des Originals vor Ort (soweit vorhanden) immer an erster Stelle steht, hat nach wie vor Gültigkeit. Doch für die Untersuchung vor Ort / am Objekt bieten wiederum die eingangs genannten Techniken der 3D-Visualisierung optimale Gelegenheiten, und damit zurück auf Los: erste Ergebnisse und Praxiserfahrungen in nachfolgenden Beiträgen / t.b.c. …

Screenshots workflow photogr. Modell des Altars in der ‚heimischen‘ Zellerreiter Schlosskapelle. Fotos: Verf.

Weiteres Material

Zum Ausklang hier noch ein Clip mit ansehnlich aufgearbeiteten Anwendungsbeispiel:

https://www.choisyleroi.fr/decouvrir-choisy/reconstitution-3d-du-domaine-royal-de-choisy/

…und wer noch nicht genug hat, hier noch Material aus dem Recherche-Beifang:

Beschreibung Vortragsreihe Intermediale Beziehungen
‚personifiziertes Praxisbeispiel‘
3D auf earlymodernarchitecture.com
3D bei society of architectural historians und dort Konferenzankündigung digital open source

Photogrammetrie – Praxis u.ä.:

https://www.researchgate.net/figure/228915858_fig1_Figure-6-Camera-poses-and-distances-used-to-fix-the-scale-on-the-photogrammetric-model
http://www.pauldebevec.com/Research/debevec-csd-96-893.pdf

Lesestoff:

http://www.courtresidences.eu/uploads/publications/virtual-palaces-II.pdf
http://www.courtresidences.eu/uploads/publications/virtual-palaces-I.pdf

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