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Hofzeremoniell 1500–1800. Teil I: Desiderate, Begriffe und Ansätze

Hofzeremoniell 1500–1800. Teil I: Desiderate, Begriffe und Ansätze

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Mark Hengerer //

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ine für die empirische Forschung fruchtbare Terminologie erfordert ein gewisses Maß an Präzision und Eindeutigkeit von Begriffen. Die Begriffe Hof, Zeremoniell bzw. Hofzeremoniell finden sich einerseits in den Quellen, andererseits werden sie deskriptiv oder als analytische Begriffe verwendet. Diese Mehrfachexistenz auf der Gegenstands- und Analyseseite zeitigt mitunter die methodologisch fragwürdige Folge, dass Bedeutungsanalysen mit analytischen Definitionen von Hof, Zeremoniell und Hofzeremoniell vermischt werden.

Desiderate

Als Desiderate treten so eingehende Begriffsgeschichten des Hofes und des Zeremoniells zutage. Gegenwärtig beziehen sich Analysen der Bedeutung von Hof oft auf zeremonialwissenschaftliche Bestimmungen des frühen 18. Jahrhunderts. Diese betonten v.a. drei Bedeutungsschichten: den Hof als Raum des gewöhnlichen Aufenthalts eines Herrn, den Hof als einen den Herrscher umgebender Personenkreis, den Hof als institutionelles Herrschafts- und Verwaltungszentrum. Den Zeremonialwissenschaftlern erschien Zeremoniell als attraktiver Modus gesellschaftlicher Ordnung, ihre Begriffsbildung hatte normative Implikationen. Die klassische Hofdefinition verschleiert so ältere und andere Elemente: z.B. Hof als Raum des Agonalen (Kampfturnier, Glücksspiel), als Knotenpunkt überterritorialer Sozialformationen, als Vehikel starker sozialer Auf- und Abwärtsmobilität, als Ort adeliger Unfreiheit, als Institution sittlicher Normierung bzw. Ort ihrer Gefährdung, als Sphäre ökonomischer Sonderrationalität, als Ort des wissenschaftlichen Experiments, als Ort der Schwäche von Herrschaft usw.

Eine Begriffsgeschichte des Hofzeremoniells muss mit überraschenden, disparaten und heterogenen Befunden rechnen: Zeremoniell hatte in der Frühneuzeit eine sozial und räumlich weite und über den Hof hinausreichende Bedeutung. Die lateinische Wurzel ceremonia, deren französische Ableitung und deren Bedeutung (rituelle bzw. feierliche Handlung) ließ bereits in der Frühneuzeit die Anwendung auf feierliche Handlungen etwa von Handwerkern zu. Wichtig sind die Vielsprachigkeit der Höflinge und Beobachter und der stete Austausch zwischen den vielen Höfen, einem Austausch im facettenreichen Spannungsfeld von gemeineuropäischer Konvergenz und den Profilierungsversuchen einzelner Höfe.

In den Berichten venezianischer und päpstlicher Botschafter über den Kaiserhof des 17. Jahrhunderts beispielsweise wurde der Terminus ceremonia nur für gleichsam rituell verfestigte Handlungen wie Krönungen oder rein formhalber vollzogene Akte verwendet, wohingegen einzelne feierliche Handlungen von Fürst und Höflingen als funtione bezeichnet wurden, das Ensemble der höfischen Verhaltensweisen aber als uso, stilo oder solito della Corte. Die kleine Hofreform von 1637 ließ die Nuntiatur mutmaßen, der Kaiser wolle alla Spagnola leben; er selbst meinte sich an der burgundischen Hofordnung zu orientieren. Mit dem Zeremoniell des burgundischen oder spanischen Hofes hatten solche Zuschreibungen nur sehr ungefähr zu tun; aber auch wir stehen bei der Archäologie zeremonieller Elemente in vielen Bereichen allenfalls am Anfang und werden doch viel zu häufig mit bloßen Affirmationen zum Einfluss von ‚Burgundischem‘ oder ‚Spanischem‘ Hofzeremoniell abgespeist. Das am Kaiserhof 1652 als Dokumentation angelegte Buch Protocollum Aulicum in Ceremonialibus stellte keine programmatische Definition seines Gegenstandes an seinen Beginn. Das Protokoll entstand (und veränderte sich stetig), weil führende Höflinge die zeremoniellen Angelegenheiten des Hofes als so vielschichtig und komplex erachteten, dass sie ihnen als nicht normierbar erschienen.

Begriffe und Ansätze

Denkt man an der Kontaktstelle von Bedeutungsanalyse und analytischer Begriffsdefinition an eine Hofzeremoniell-Definition wie etwa „feierliche Handlung in der Umgebung des Fürsten“, liegt man nicht falsch und ist doch offenkundig recht unpräzise. Zugewinne an Präzision und Eindeutigkeit aber führen aus methodolischer Perspektive entweder in die Richtung begriffsgeschichtlicher Arbeiten oder in die Richtung analytischer Begriffsbildung. Deren Architektur aber hängt von der jeweiligen konkreten Fragestellung und Forschungsdisziplin ab und ist mithin offen.

Den Grad dieser Offenheit hat die Entwicklung der Forschung der letzten Jahrzehnte massiv erhöht. Die kulturwissenschaftliche Transformation der Geschichtswissenschaft brachte einen kategorialen Wandel. Die lange Zeit eminenten Kategorien Person, Ereignis, Struktur werden in Forschungsprogrammen, die mit dem Begriff „Kommunikation“ operieren, als ihrerseits variable Gegenstände konzipiert und hinsichtlich der Modi ihrer kommunikativen Hervorbringung analysiert. Zentrale Begriffe dabei sind Kommunikation, Differenz und Medien und deren Materialität.

Im klassischen Kategoriensystem (Person, Ereignis und Struktur) konzipiert Forschung den Hof primär von Personen, Gruppen oder Funktionen her. Der zeremoniell agierende Hof wird dabei oft zur Bühne herrscherlicher bzw. adeliger Repräsentation. Im jüngeren Kategoriensystem (Kommunikation, Differenz, Medien) wird Hofzeremoniell als Reihe von Situationen der Emergenz von Sinn konzipiert. Die Analyse des Gebrauchs von Zeichen bzw. Symbolen wird über die Felder wie Bühne und Habitus hinaus erweitert und als konstituives Element auch der (einst als bürokratisch-rational vorgestellten) Entscheidungskommunikation erkannt. Zum etablierten Austausch mit Kunst-, Literatur- und Theaterwissenschaft tritt so derjenige mit einer modernen Medien-, und Verwaltungswissenschaft.

Diese Erweiterung hat eine wichtige Entsprechung: Hofzeremoniell wurde lange Zeit primär mit dem Begriff des Zeichens in Verbindung gebracht (Zeremoniell als Zeichensystem), wird nun aber in einem weiteren konzeptionellen Rahmen gefasst (Symbolische Kommunikation). Dies reflektiert, dass Kommunikationsprozesse zwar oft Routinen sind, prinzipiell aber offen; dass Zeichen als Symbole, dass Symbole als Zeichen ver-, miss- oder unverstanden bleiben können und dass auch vermeintliche Nichtkommunikation verstanden werden kann; dass der Einsatz von Symbolen und Zeichen nicht auf Bühnen beschränkt, sondern ubiquitär und mithin auch Teil von Entscheidungskommunikation ist. Weil der kommunikationstheoretisch konzipierte Begriff Symbolische Kommunikation sich gegen eine vereinfachende handlungstheoretische Verwendung nicht sperrt, wirkt er für die Frühneuzeitforschung außerordentlich integrativ. Dem entspricht eine Klärung der Bestimmung des Begriffes des Hofzeremoniells in der Semiotik: Thomas Rahn nennt es „strenggenommen kein Zeichensystem“, sondern „System von Zeichensystemen, in dem eigengesetzliche Codes aufeinander abgestimmt werden“.


Prof. Dr. Mark Sven Hengerer ist Inhaber der Professur ‚Geschichte Westeuropas in der Frühen Neuzeit‘ an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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