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Höfische Architektur in Japan in der vormodernen Zeit. Ein Besuch in Kyoto. Teil 1: der Ginkaku-ji aus der Zeit um 1482

Höfische Architektur in Japan in der vormodernen Zeit. Ein Besuch in Kyoto. Teil 1: der Ginkaku-ji aus der Zeit um 1482

Von Prof. Dr. Stephan Hoppe //

Welche Parallelen gibt es eigentlich zwischen der höfischen Architektur in Europa und der in Japan? Auch wenn sich diese Architekturen im Konkreten fast völlig unabhängig voneinander entwickelt haben, so bietet die höfische Perspektive ein verbindendes Rahmenwerk, um die bauliche Überlieferung miteinander in Bezug zu setzten. Es kann Verglichen werden; die komparatistische Perspektive verspricht neue Einsichten und ein besseres Verständnis auch scheinbar vertrauter Phänomene.

Ein kurzer Besuch in Kyoto im Mai 2016 soll zum Anlass genommen werden, persönliche Beobachtungen und Gedanken zu teilen.

Auch in Japan gab es in der mittelalterlichen und frühmodernen Zeit eine ausgeprägt höfische Architektur. Dies ist nicht überraschend, da ab dem achten Jahrhundert in Japan immer wieder Modelle der chinesischen Kultur und besonders auch ihrer Architekturideen programmatisch übernommen wurden. Die erste wichtige Phase war dabei die Etablierung einer kaiserlichen Hauptstadt nach chinesischem Vorbild auf streng rasterartigem und funktional hierarchisiertem Grundriss. Nach einigen Versuchen war es schließlich das im Jahre 794 nordöstlich der älteren Hafenstadt Osaka gegründete Kyoto, das für Jahrhunderte die kaiserliche Hauptstadt mit ihrer höfischen Kultur beheimatete.

Was ist noch zu sehen?

Interessant ist nun die Frage, was von dieser sehr aufwändigen und schon früh nach rationalen Prinzipien geordneten Architektur heute noch in Kyoto erlebbar ist. Interessant ist auch die Frage, inwieweit sich nicht nur die architektonische Entwicklung, sondern auch der heutige Erhaltungszustand mit der europäischen Situation parallelisieren lässt.

Kyoto, Ginkaku-ji, der eigentliche Silberpavillon (Kannon-den), ein zweigeschossiger Tempel einer höfischen Vorstadtvilla um 1482
Kyoto, Ginkaku-ji, der eigentliche Silberpavillon (Kannon-den), ein zweigeschossiger Tempel einer höfischen Vorstadtvilla um 1482

So sind ja auch die königlichen und fürstlichen Residenzen aus dem europäischen Mittelalter, also vor dem 15. Jahrhundert, wie zum Beispiel der Louvre oder die Pfalzen der römisch-deutschen Kaiser nur in Resten und vor allem ihren steinernen Teilen auf uns gekommen. Teilweise, wie beim Louvre, können sogar nur noch die erst jüngst archäologisch freigelegten Reste besichtigt werden, teilweise, wie zum Beispiel bei der Königspfalz in Goslar, ist die Architektur nur noch sehr lückenhaft in Form des ehemaligen Hauptgebäudes und einer benachbarten Kapelle erlebbar, beide sehr stark im 19. Jahrhundert ergänzt, restauriert und auch manchmal phantasievoll rekonstruiert.

Anders wird die Situation in Europa erst ab der Epoche der Renaissance ab dem 15. Jahrhundert. Seit dieser Zeit sind durchaus komplexe königliche und fürstliche Residenzen und auch die satellitenartigen Sitze zahlreicher Höflinge noch in großem Umfang prinzipiell bewohnbar erhalten und zu besichtigen. Dies gilt zum Beispiel für die Residenzen in Urbino oder in Meißen, oder über die Schlösser einzelner Adlige im Umkreis der Höfe wie im Gebiet der Loire, in England oder auch in Sachsen.

Auch in Japan haben Kriege, Naturkatastrophen und Brände ein Großteil der mittelalterlichen Architektur im Aufgehenden zerstört.

Renaissancen in Europa und Renaissancen in Japan

Bis auf wenige ältere Gebäude ist es auch hier das 15. Jahrhundert, ab dem noch aufrecht stehende und benutzbare Architekturen der höfischen Welt zu besichtigen sind.

Der Besuch in Kyoto, der den vorliegenden knappen Ausführungen zu Grunde liegt, war nur ein sehr kurzer und notgedrungen oberflächlicher. Trotzdem konnte ein erster Eindruck gewonnen werden, dass in Kyoto noch wesentliche Elemente des architektonischen Settings der höfischen Welt seit dem späten 15. Jahrhundert erlebbar sind und so wichtige Eindrücke über auch die topographische Lage, die räumlichen Verhältnisse zueinander, die Raumeindrücke und die verwendeten Materialien, ja auch zu Teile der bildlichen Ausstattung noch im Zusammenhang zu gewinnen sind.

Eine Zensur bildete dabei der so genannte Onin-Krieg von 1467-1477, in dem große Teile der kaiserlichen Hauptstadt Kyoto den Kriegshandlungen zum Opfer fielen, sodass die meisten älteren dort erhaltenen Bauwerke im Aufgehenden aus der folgenden Wiederaufbauphase und von später stammen.

Zeitlich an erster Stelle zu nennen ist dabei eine Art suburbaner Villa, die der abgedankte Shogun Ashikaga Yoshimasa ab 1482 im nordöstlichen Hügelland vor der eigentlichen Stadt als Altersruhesitz anlegen ließ und nach seinem Tod in ein buddhistisches Kloster umwandeln ließ. Die heute als Ginkaku-ji, als sogenannter Silberpavillon-Tempel bekannte Anlage, bestand und besteht noch aus einer Anzahl von pavillonartigen Gebäuden und einem großen Garten mit Teichen und Bergbereichen.

Kyoto, Ginkaku-ji, der Tōgu-dō, ein Nebengebäude mit Raum für die Teezeremonie in dem heute rekonstruierten Garten, um 1482
Kyoto, Ginkaku-ji, der Tōgu-dō, ein Nebengebäude mit Raum für die Teezeremonie in dem heute rekonstruierten Garten, um 1482

Von allem sind natürlich in einem einigermaßen originalem Zustand nur noch einzelne Teile erhalten, die aber noch einen komplexen Eindruck der ursprünglichen Anlage geben. Auch dies ist natürlich ohne Kenntnisse von Bauuntersuchungen mit der nötigen Vorsicht zu behandeln. Vieles, vor allem der eindrucksvolle Garten, ist hier rekonstruiert, aber wohl recht authentisch. Durch verschiedene Umstände ist hier sowohl ein zweigeschossiger Tempel aus den 1480er Jahren (der eigentliche Silberpavillon) und ein eingeschossiger Bau aus derselben Zeit erhalten geblieben.

Besonders interessant ist der eingeschossige Pavillon, bei dem es sich um eine hochmoderne Ergänzung zu den verschwundenen und ersetzten Hauptgebäuden handelt. Hier wurden neue Typen persönlicher Rückzugsräume entwickelt, in denen neue Beschäftigungen wie das Gespräch mit wenigen Vertrauten über Kunst, die Lektüre oder die Kontemplation der hier inszenierten Ansichten der Gärten ihr Gehäuse fanden.

Dieses versteht der europäische Besucher bis zu einem gewissen Grad spontan, da er ähnliche Vorgänge in den Palästen und Villen der europäischen Renaissance kennt.

Kyoto, Ginkaku-ji, der Tōgu-dō, ein Nebenpavillon für Yoshimasa mit Verbindung zum Garten, um 1482
Kyoto, Ginkaku-ji, der Tōgu-dō, ein Nebenpavillon für Yoshimasa mit Verbindung zum Garten, um 1482

In der Fortsetzung des Blogs soll dieser neuartige Bautyp und sein neuartiger Stil am Beispiel des Ginkaku-ji genauer betrachtet werden.

Für Ungeduldige sei schon einmal auf eine empfehlenswerte Biografie des Bauherrn, Ashikaga Yoshimasa, hingewiesen, die in sehr lesbarer Weise auch ausführlich auf seine Rolle für die japanische Kunstentwicklung am Ende des 15. Jahrhunderts eingeht: Donald Keene: Yoshimasa and the Silver Pavilion: The Creation of the Soul of Japan. New York 2003.

Fortsetzung folgt.


Stephan Hoppe ist Professor für Kunstgeschichte an der LMU München. Seine Forschungsschwerpunkte sind höfische Architektur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Sozial- und Funktionsgeschichte von Architektur, Bildmedien der Architektur sowie digitale Kunstgeschichte.

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