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Werkstattbericht: Inventarisierung und Digitalisierung des Marstalldepots

Werkstattbericht: Inventarisierung und Digitalisierung des Marstalldepots

Von Priscilla Pfannmüller //

In einem Südflügel des Schlosses Nymphenburg befindet sich das Marstallmuseum der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen. Es besticht mit einer der größten Kutschensammlungen der Welt und beeindruckt damit Jung und Alt.

Doch auch die schönste Sammlung braucht von Zeit zu Zeit ein Update. Zu diesem Zweck wird seit einiger Zeit Stück für Stück modernisiert, sei es durch den langen Leuchtkasten, der den Krönungszug Kaiser Karl VII. illustriert, durch die Neubeschriftung der Ausstellungsräume oder auch durch Restaurierung der vielen Schlitten und Prunkkutschen König Ludwig II.

Neben diesen offensichtlichen Veränderungen wird auch viel hinter den Kulissen, im Depot des Marstallmuseums, gearbeitet. Ziel ist es, das Inventar, das zuletzt in den 1920-er Jahren vollständig erfasst wurde, mit den heutigen Depotbeständen abzugleichen.[1] Zu diesem Zweck wurde jedes der über 3.000 Objekte begutachtet, ausgemessen, beschrieben und fotografiert. Nach Abschluss dieser Arbeit war es wichtig, die Objekte fachgerecht einzulagern, damit auch in 100 Jahren zukünftigen Nutzern des Depots alle bekannte Informationen über diese reiche Fülle an Satteldecken, Zaumzeugen, Livreen und Sätteln zur Verfügung stehen.

Es geht jedoch nicht nur um das „bloße“ Dokumentieren der einzelnen Objekte, sondern auch um das Sortieren und Zusammenfügen von Objektgruppen, die im Verlauf der letzten Jahrzehnte auseinandergerissen wurden. Dies ist angesichts der schieren Menge an Objekten keine leichte Aufgabe – vor allem ist es langwierig und bisweilen auch enervierend, beispielsweise Aufputzzeug für Pferdegeschirre zu sortieren: Dieses besteht aus dem Kopfputz, zwei Ohrrosetten, bis zu vier Schweifrosetten, diversen „Viochi“[2] und Kammdeckelquasten[3]. Da können bei einem Achter-Pferdezug gut und gerne 150 gleichartige Teile zusammenkommen…

Andererseits „entschädigen“ so manche Funde für stundenlanges Quastensortieren. Vor einiger Zeit fand sich im Depot eine goldbestickte, kaum beschädigte und nur minimal korrodierte Löwenmaske auf Ledergrund wieder. Sie besaß keine Inventarnummer, auch keinen anderen Hinweis auf ihren ursprünglichen Verwendungskontext. In solchen Momenten ist detektivischer Spürsinn gefragt – und der Zufall.

Löwenmaske vom Schellengeläut des Kurfürsten und späteren Kaisers Karl VII Albrecht
Löwenmaske vom Schellengeläut des Kurfürsten und späteren Kaisers Karl VII Albrecht

Es begann eine intensive Recherchearbeit; dabei wurden Textilrestauratoren und Kuratoren der Museumsabteilung zu Rate gezogen, aber vor allem auch altes Bildmaterial aus dem ersten Marstallmuseum am Münchner Marstallplatz eingehend begutachtet. Vielleicht war ja die besagte Löwenmaske zufällig ausgestellt gewesen?

Und wie heißt es so schön? Wer suchet, der findet! In der Tat fand sich auf einer Aufnahme Carl Teufels um 1900 die fragliche Löwenmaske, befestigt an einem großen barocken Schellengeläut. Die historische Fotographie zeigte die reich mit Goldstickereien verzierte Samtdecke über einem ausgestopften Pferd, wobei die Löwenmaske oberhalb des Pferdeschweifs appliziert war.

Doch welches Schellengeläut war das gesuchte? Auch hier half der Zufall. Erst einen Tag zuvor wurde ein Schellengeläut des Kurfürsten und späteren Kaisers Karl VII Albrecht (1697-1745) im Museum zur Restaurierung abgehängt und in die Textilwerkstätten überführt. Durch Abgleich verschiedener Fotographien sowie der beiden Objekte, insbesondere der Schnallen gelang es schließlich, die „herrenlose“ Löwenmaske dem zugehörigen Objekt zuzuführen.

Sicherlich, die Arbeit in einem so großen Depot ist ein ständiges Auf und Ab der Gefühle, wenn man dies so sagen kann, weil man hin und hergerissen ist zwischen dem stupiden Sortieren großer Objektgruppen einerseits und dem Finden kleiner Schätze wie eben dieser Löwenmaske. Vor allem aber ist das Sichten der Bestände und die Digitalisierung eine grundlegende Arbeit, ohne welche der Museumsbetrieb nicht funktionieren würde; eine Neugestaltung des Museums oder wissenschaftliche Aufarbeitung der Bestände wäre ohne diese „Basisarbeit“ unmöglich. Dafür lohnt es sich allemal, „in alten Kisten zu wühlen“!


[1] Zu berücksichtigen ist, dass durch die Auslagerungen des alten Marstallmuseums während des 2. Weltkrieges eine Vielzahl an Objekten verloren gingen, teilweise sogar verbrannten, wenn sie nicht rechtzeitig ausgelagert wurden.

[2] Eine Vioche, Plural Viochi, ist ein textiler Kopfschmuck.

[3] Kammdeckel sind Teil des Rückengeschirrs für die Zügelführung; die Quasten dienen hierbei der Verzierung.

Weiterführende Literatur:

Dinkel, Joseph (1985): Wagenmoden im Biedermeier: Stadtwagen, Reise- u. Sportfahrzeige zwischen 1830 u. 1840.

Felton, William (1996); A treatise on carriages: comprehending coaches, chariots, phaetons, curricles, whiskies, & co; together with their proper harness, in which the fair prices of every article are accurately stated. Mandham, NJ: Astragal Press.

KatAus Roulez carrosses! Le Château de Versailles á Arras. Paris: Skira Flammarion, 2012.

Kopplin, Monika (Hrsg., 2013): Vernis Martin: französischer Lack im 18. Jahrhundert. München: Hirmer.

Kräftner, Johann (Hrsg., 2006): Pferde, Wagen, Ställe: Pferdetradition im Hause Liechtenstein. München (u.a.): Prestel.

Kreisel, Heinrich (1927): Prunkwagen und Schlitten. Leipzig: Hiersemann.

Volk-Knüttel, Brigitte (2000): In München entworfen, in Mailand gestrickt: ein Prunkreitzeug Kurfürst Maximilians I. von Bayern, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Künste, 3.F. 51.2000, 137-160.

Wackernagel, Rudolf H. (1997): Fahr- und Fahrzeugsicherheit: zum Fahrkomfort barocken Reisens, in: Naturwissenschaft und Technik im Barock, 157-189.

Wackernagel, Rudolf H. (2002): Staats- und Galawagen der Wittelsbacher. Kutschen, Schlitten und Sänften aus dem Marstallmuseum, Schloss Nymphenburg. Stuttgart: Arnold.


Priscilla Pfannmüller, M.A. (Politikwissenschaften), studiert Kunstgeschichte und Spätantike/byzantinische Kunstgeschichte an der LMU München. Momentan schreibt sie ihre Masterarbeit bei Prof. Stephan Hoppe zum Wandel des Adelshofs im 16. Jahrhundert vom Nutzbau hin zum Repräsentationsbau. Seit einem Praktikum in der Museumsabteilung der Bayerischen Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen arbeitet sie mit einer Textilrestaurationsstudentin an der Erfassung und Aufarbeitung des Marstalldepots.

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