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Hofkultur goes digital – Praxisbeispiel 1: 3D Modell mittels Photogrammetrie

Hofkultur goes digital – Praxisbeispiel 1: 3D Modell mittels Photogrammetrie

Im Gegensatz zum einleitenden Beitrag  zum Thema 3D, Digital Humanities und Architekturtheorie liegt der Fokus wie angekündigt nun auf der Praxis.

Der Beitrag bestehet im Wesentlichen aus der Dokumentation der Arbeitzsvorgänge – so lassen sich mehrere Fliegen auf einmal schlagen: zum einen gehört die Dokumentation zu einem ‚ordentlichen‘ Digitalisierungs-Projekt dazu, zum anderen enthält diese automatisch alle  für ein Nachvollziehen und ggf. Adaptieren nötigen Infos und Angaben in kompakter Form. Im Anschluss habe ich noch Problematiken, Fragestellungen und Verbesserungsvorschläge notiert – gerade in diesem Bereich steckt Austausch- und Erkenntnispotential, falls es also Fragen oder Kommentare gibt – just do it!
=> Gerne auch über https://www.facebook.com/hofkulturblog/ , lohnt sich doppelt denn dort kann auch das fertige Modell im Viewer betrachtet, gedreht und gewendet werden:

Nach diesem Motto, los geht’s:

A ) Kurzbeschreibung / Kontext:

Der Gegenstand des digitalen Interesses: der Altar in der Kapelle bei Schloss Zellerreit.

Nachdem das Schloss als Zentrale der umliegenden Hofmark  unter dem neuen Besitzer, dem Wasserburger Patrizier Abraham Kern d. Ä. nach 1604 ausgebaut wurde (BA-Arbeit der Verf. zur Baugeschichte des Schlosses und seinen Besitzern hier), hat sich der Bauherr auch der Kapelle und deren Ausstattung angenommen, was 1620 einen neuen Altar miteinschloss. [An bisher unpublizierten  Archivalien zu den Kernschen Maßnahmen an der Kapelle  warten im Stadtarchiv Wasserburg u. a. ein zeitgenössisches Inventar der liturgischen Gerätschaften, eine schematische Grundrisszeichnung von der Hand des Bauherren inklusive 1:1 Fußmaß, und Rechnungen zu den neu verglasten Fenstern noch darauf ausgewertet zu werden, doch das steht auf einem anderen Blatt…]
Der aus Holz in (spät)manieristischer, detailreicher Formgebung gefertigte Altar misst an der höchsten Stelle  2,66 m, das Altarbild wird von zwei vollplastischen Statuen flankiert: Rechts der hl. Antonius mit dem Schwein (der übliche T-förmige Stab ist abhanden gekommen), links der hl. Georg mit dem Drachen, beliebter und bereits im Allgemeinen als Patron der Adelsfamilien, Städte und Ritterorden hier auch im Besonderen passend: Der Schloss- und Hofmarksherr, dessen Familie erst eine Generation zuvor in den Adelsstand erhoben wurde, nützte die zur Verfügung stehenden Mittel und Ausdrucksformen, um Status und Ansehen zur Geltung zu bringen. Das Altarbild geht aller Wahrscheinlichkeit nach auf Georg Pittenharter, einen Vertreter der in Wasserburg und Umgebung tätigen Malerfamilie zurück (Vater Georg und Söhne Melchior und Wolfgang), für Georg und seine Söhne sich zwischen 1606 und 1628 verschiedene Arbeiten für Kern in Schloss und Kapelle nachweisen.[1] Etwa fertigte Georg 1628 das ca. 2,2 x 2,5 m große Fastentuch für die Zellereiter Kapelle an. Heute in der Michaelskapelle in Wasserburg befindlich, steht diese Realie also in direktem Bezug zum Altar in Zellerreit und lässt damit Rückschlüsse auf die (liturgische) Nutzung von Altar und Kirchenraum zu.

B) Aufnahme

Um das für das 3D-Modell benötigte Set an Fotos zu erstellen, waren 2 Personen für ca. 3 Stunden beschäftigt.

An Gerätschaften kam zum Einsatz:

Kamera: Canon EOS 5 D Mark IV

Objektive: zwei Canon – Festbrennweiten-Objektive mit 50 mm für den Großteil der Aufnahmen, 30 ergänzende von insgesamt 162 Aufnahmen / Kamerapositionen mit 85 mm Objektiv (Grund: Wechsel des Bildausschnitts / größerer Abstand zum Objekt) beide Objektive mit 1: 1,8 Lichtstärke (je kleiner die zweite Zahl, desto mehr Licht fällt auf den Sensor => das theoretische Maximum liegt bei 1:1 => Relation Lichtstärke – Objektivqualität)

Aufnahmesituation: Innenraum der Kapelle

Kapelle bei Schloss Zellerreit von Südwetsen (Foto: Verf.)

Lichtverhältnisse:

Tageslicht durch die beiden südseitigen Kapellenfenster bei bedecktem Himmel, schwaches Dauerlicht durch die wandfesten Lampen im Kapelleninnenraum. Für die Aufnahmen wurden zwei Valimex-Stativblitze mit Schirmdiffusor aufgebaut. Die Blitzlampen mit 620 Wattsekunden pro Stück befanden sich etwa auf mittiger Höhe des Altars mit jeweils etwa 3 m Abstand. (vgl. Making-of – Foto). Kamera und Blitzlampen (mit Master-Slave-Funktion) waren durch ein Synchronkabel verbunden. Weiteres Hilfsmittel: Klappleiter.

Aufbau / Ablauf:

die Fotos wurden frei Hand ohne Stativ in drei Durchläufen auf Höhe untere, mittlere und obere Objektzone von der Leiter aus gemacht, mit jeweils ca. 30 Aufnahmen (2 pro Leiterposition) im Halbkreis um den Altar von links nach rechts. Anstelle einer Skizze zum Aufnahmeschema hier ein Screenshot der in der Software angezeigten , insgesamt 162 Kamerapositionen:

außer den Aufnahmen nach dem o. g. Ebenenschema wurden zusätzlich mit größerem Abstand aus verschiedenen Höhen Gesamtaufnahmen des Altars gemacht, um die korrekte Modellerstellung sicherzustellen. Auch vom aus der Hauptebene hervorspringenden Tabernakel wurden zusätzliche Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven gemacht, um dessen Plastizität im Modell korrekt wiedergeben zu können. Insgesamt ist festzuhalten: je mehr Aufnahmen / Kamerapositionen, desto genauer / detailgetreuer das Modell.

Kameraeinstellungen:

Kameramodus: manuell

Datenformat: RAW und JPEG (gleichzeitig während der Aufnahmen gespeichert, durch ausreichend hohe Bildqualität für schnelleres Errechnen des Modells jedoch nur die JPEGs verwendet)

Anzahl der Bildpunkte / Auflösung : 6720×4480

Belichtung: ISO 100, Blende: F /10, Verschlusszeit 1/ 125 , Brennweite: 50 und 85

Weißabgleich: automatik

Belichtungsmessung: integral (beurteilt eine größere einfallende Lichtfläche im Gegensatz zu Spotmessung)

Fokussierung: Autofokus, kein Fernauslöser

C) Modellberechnung

Die Aufnahmen (JPEGS) wurden ohne vorherige Bearbeitung in die Software geladen. Verwendet wurde Agisoft PhotoScan Professional (64 bit) Version 1.3.2 .Auch nach dem Hochladen und Erstellen des Modells in den vorgegebenen Arbeitsschritten wurden die Aufnahmen nicht nachbearbeitet. Einzig wurde das Modell von überflüssigen Punkten in der Punktwolke bereinigt (Hintergrund und nicht zum Altar gehörige Punkte). Die Kamerapositionen wurden nicht in mehrere Arbeitsbereiche („Chunks“) aufgeteilt.

Rechnerkonfiguration: Intel Core2 Quad CPU / 4x 2.8GHz, Arbeitsspeicher: 8,00 GB, Windows 7 Pro/64Bit, Grafikkarte: NVIDIA GeForce GTX 750Ti mit 2048MB Speicher

Die Software gibt über das Menu die einzelnen Arbeitsschritte vor, die dann der Reihe nach auszufühen sind:

Screenshot Arbeitsschritt Punktewolke
Screenshot Arbeitsschritt dichte Punktewolke
Screenshot Arbeitsschritt bzw. Anzeigemodus Dichte Punktewolke: Klassen
Screenshot Arbeitsschritt Gekachektes Modell

Größte Verzettelgefahr bei den verschiedenen Anzeige-Modi (und Respekt vor der Software…) :

Screenshot Ansicht ’solid‘
Screenshot Ansicht ‚wireframe‘

D) Beobachtungen, Probleme und Lösungen

Zur PC-Hardware:

Die Rechenleistung scheint ausreichend um selbst komplexe Objekte zu bearbeiten. Schnellere Hardware bedeutet geringere Rechenzeiten.

Zur Grafikkarte

Eine schnellere Grafikkarte erlaubt ein flüssigeres Bewegen und Drehen des Modells auf dem Bildschirm und hat ebenso erheblichen Einfluss auf die Geschwindigkeit mancher Rechenabläufe. Moderne Grafikkarten (wie z.B. NVIDIA Geforce GTX 1080) sind etwa 8x schneller als die verwendete GTX 750Ti.

Zur Aufnahmesituation:

Verbesserung durch Abhängen des Objekthintergrundes z.B. mit weißen Stoffbahnen => verursacht weniger unerwünschte Bildpunkte und erlaubt ein Freistellen des Objektes mit weniger Aufwand. (wurde bei diesem Übungsprojekt nicht freigestellt)

Freistellen des Objektes z.B. mit PhotoShop und ‚Säubern‘ des Hintergrundes führt zu besseren Ergebnissen mit weniger unerwünschten Bildelementen. Der Aufwand hierfür steigt mit der Anzahl der Kamerapositionen.

Um bessere Farbwiedergabe zu erreichen ist ein manueller Weißabgleich nötig (Graukarte im Sichtfeld, RAW-Datenformat, manueller Weißabgleich in der externen Kamerasoftware zur Be/Verarbeitung, z.B. hier Canon Digital Photo Professional 4 )

Bessere Tiefenschärfe lässt sich mit größerer Blendenzahl erreichen (beim Übungsprojekt: F/10; das verwendete Objektiv könnte bis F / 22 abblenden) Dies erfordert entweder mehr Blitzleistung (doppelte Leistung = eine Blendenstufe). Alternative: Dauerlicht und längere Belichtungszeit, was jedoch Stativeinsatz unvermeidbar macht.

Zielsetzung für nächstes Photogrammetrie-Projekt: Wiederholung der Aufnahme des Altars, jedoch unter Berücksichtigung der gewonnen Erkenntnisse, d. h. mit abgehängtem Hintergrund, optimierter Ausleuchtung (mehr Licht und bessere Ausleuchtung von Objektdetails) und höherer Leiter 😉

————-

im nächsten Teil: Dokumentation Bemaßung des Modells in Agisoft Photo Scan

geplante weitere Themen: Optimierungen bei Aufnahmen und Bildbearbeitung plus Ausschöpfen der Möglichkeiten der Software diesbezüglich.

 

[1] Birkmaier, Willi; Steffan, Ferdinand: Zur Malerfamilie Pittenharter in Wasserburg, in: Die Heimat am Inn 12, Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur des Wasserburger Landes, Jahrbuch 1992, Wasserburg a. Inn 1992, S. 53-56, hier S. 38. Auf die Pittenharter geht neben der Fassadenbemalung von Schloss Weikertsham auf der gegenüberliegenden Innseite nordöstlich von Wasserburg [Steffan Ferdinand: Das Schlößchen Weikertsham bei Wasserburg und seine Besitzer, in: Die Heimat am Inn 13, Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur des Wasserburger Landes, Jahrbuch 1993, Wasserburg a. Inn 1993, S.158 ]auch als bisher bekanntestes und bedeutendstes Werk die Fassadengestaltung des Wasserburger Rathauses durch Wolfgang Pittenharter (vgl. auch kurzer Bericht hier , Bild zeitgen. Visierung) zurück.

2 comments

  1. Sehr schöne Beschreibung! Würde es sich nicht lohnen, das zu einem kleinen Kurs für programminghistorian.org/ oder teach.dariah.eu/ auszuarbeiten. Vom Format her würde es zumindest zu „programming historian“, die im Gegensatz zu Dariah-Teach auch kürzere Anleitungen mitaufnehmen, recht gut passen. Würde natürlich noch mal etwas Arbeit kosten (zumal beide Plattformen ihre Kurse vor der Veröffentlichung durch einen Peer-Review schicken), könnte aber auch die Wirkung erhöhen, weil die Leute die Anleitungen zu DH-Technologien suchen, dort eher nachschauen als im Blog. Und zu Bild- und Grafikmaterial haben sie auf der einen wie auf der anderen Plattform bisher noch wenig.

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