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Hofbeamte & ihre letzte Ruhestätte – Die Wiener Michaelergruft & ihre Verstorbenen

Hofbeamte & ihre letzte Ruhestätte – Die Wiener Michaelergruft & ihre Verstorbenen

Die meisten Touristen – und vermutlich auch ein Großteil der Wiener – ahnen heute wohl gar nicht mehr was sich unter ihnen befindet, wenn sie am Kohlmarkt entlang auf den Michaelerplatz vor der Hofburg spazieren. Dort, wo heute ganz prominent freigelegte, archäologische Ausgrabungen einer römischen Lagerstadt alle Blicke auf sich ziehen, wurde die Unterwelt vom frühneuzeitlichen St. Michael größtenteils leider vergessen.

Die Michaelerkirche erbaute man in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Filialkirche von St. Stephan. Nach der Stadterweiterung um 1200 wurde sie zur zweiten landesfürstlichen Pfarrkirche bestimmt, womit das Recht auf Durchführung von Beerdigungen verbunden war. Erstmals erwähnt wurde ein Friedhof um die Michaelerkirche im Jahr 1310. In Bonifaz Wohlmuehts Stadtplan von 1547 lässt sich die Größe des Areals in etwa nachvollziehen.

Bonifaz Wohlmuehs Stadtplan von 1547. (12) Michaeler-Friedhof, (11) Michaelerkirche, (1) Burg, (2) Burgbastei, (4+5) Ziergärten, (10) Kohlmarkt, (9) Herrengasse, (13) damalige Preidengasse, heutige Habsburgergasse
Bonifaz Wohlmuehs Stadtplan von 1547. (12) Michaeler-Friedhof, (11) Michaelerkirche, (1) Burg, (2) Burgbastei, (4+5) Ziergärten, (10) Kohlmarkt, (9) Herrengasse, (13) damalige Preidengasse, heutige Habsburgergasse

 

1508 verbot Kaiser Maximilian I. Begräbnisse auf dem Michaelerfriedhof aufgrund seiner Nähe zur Hofburg. Da die Bestattungsgebühren aber eine wesentliche Einnahmequelle der Kirche waren, regte sich sofort Protest gegen diesen Beschluss. 1510 befahl Kaiser Maximilian nach längerem Hin und Her letztlich die Ausräumung und Pflasterung des Friedhofs – Bestattungen sollten künftig abseits auf dem Gottesacker vor der Stadtmauer stattfinden.

Doch nicht nur um die Michaelerkirche herum, sondern auch unter dem Kirchenboden wurden ab dem 14. Jahrhundert Verstorbene bestattet. Dies wurde umso wichtiger mit der Schließung des Friedhofs. Um 1560 begann man schließlich mit dem Bau von Einzelgrüften für adelige Familien und nach dem Einzug des italienischen Ordens der Barnabiten startete man 1631 auch mit dem Bau von Gemeinschaftsgrüften. Diese waren für den niederen Adel, die einfachen Hofangestellten sowie Kaufleute und Pfarrangehörige bestimmt.  Glücklicherweise legten die Barnabiten 1631 ein Totenprotokoll an, das bis heute Auskunft über die Zahl der Bestatteten gibt und immer noch direkt in der Pfarrei aufbewahrt wird.

Im Zuge der Josephinischen Reformen wurden von Joseph II. Bestattungen in den Grüften aus hygienischen Gründen verboten.[1] 1784 brachte man die letzten Verstorbenen hinab. Ab diesem Jahr war die Gruft für knappe 50 Jahre verschlossen, bevor sie 1829 für Renovierungsmaßnahmen wieder geöffnet wurde – der Gestank in der Kirche war offenbar einfach zu groß geworden. Insgesamt hatte man in den Grüften zwischen 1631 und 1784 um die 4000 Tote bestattet.[2]

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Rechtes Seitenschiff mit Gebeinen. Foto: Christina Sebastian, Juni 2014.

 

Eine Besonderheit der Gruft sind zweifellos die sich darin befindenden Mumien. Aufgrund unerwarteter, günstiger klimatischer Bedingungen haben sich nämlich 23 Körper von Verstorbenen in unterschiedlichsten Zuständen erhalten. Drei der außergewöhnlich gut erhaltenen Mumien kann man in den mehrmals die Woche stattfindenden Gruftführungen noch öffentlich sehen. Besonders interessant sind dabei die gut erhaltene Totenkleidung der Verstorbenen, ihre detailreichen Grabbeigaben und nicht zu vergessen eine Vielzahl bunt bemalter Särge. Sie geben wertvolle Einblicke in die großbürgerliche und niederadelige materielle Kultur sowie Wiener Bestattungsgeschichte des 18. Jahrhunderts.

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(1) Frau [N 83], vermutlich Maria-Candia-Gruft (also zwischen 1754-1784); (2) Frau [N107], ursprüngliche Gruft unbekannt; (3) Füße von Dame {N107]; (4+5 klein) Mann [N88], (urspr. Maria-Candia-Gruft), auf 1769 datiert, vermutlich Graf Friedrich Casimir von Löwenwolde, Kämmerer und General der Cavallerie, mit 78 gestorben – auch möglich: Franz Jospeh Artmann ein KuK Kammerdiener, Joseph Sabiz von Tandensperg, ein Mediziner des Hauses Liechtenstein (beide waren mit Ende 50/Anfang 60 in diesem Jahr verstorben). Fotos 1,2,4: Christina Sebastian, Juni 2014; Fotos 3 + kleines Foto: Rainer 2006, 103, 70.
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Detailaufnahme der Dame [N83], die vermutlich in der noblen und teuren Maria-Candia-Gruft beigesetzt worden war. Foto: Christina Sebastian, Juni 2014.

 

Leider wurden die Mumien und Särge im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte so oft innerhalb der Gruft herumgeräumt und gestapelt, dass sich bei den wenigsten heute noch der exakte Originalstandort rekonstruieren lässt. Dieser wäre außergewöhnlich hilfreich bei der Klärung der Identität und des sozialen Standes der Toten. Verstorbene, die beispielsweise in der vornehmen Maria-Candia-Gruft direkt unter der gleichnamigen Ikone ihre letzte Ruhe fanden, mussten adelig und/oder sehr wohlhabend gewesen sein, um sich diesen Platz leisten zu können. Andere, die beispielsweise in der großen Pfarrgruft beigesetzt wurden, waren dagegen eher Kaufleute, Handwerker und Hofbedienstete. Bei einigen Särgen kann man immerhin noch aufgemalte Jahreszahlen erkennen, die auf das Sterbejahr hinweisen und in Kombination mit den Totenprotokollen Spekulationen über die Verstorbenen ermöglichen.

Der Wiener Historiker Oskar Ters beschäftigt sich derzeit im Rahmen seiner Dissertation mit den weitgehend namenlosen Toten der Gemeinschaftsgrüfte. Nach einer Auswertung der Totenprotokolle und Funeral Spezifikationen des Klosterarchivs konnte er eine Bestandsaufnahme aller verzeichneten Gruftleichen erstellen und geht nun den spannenden Fragen nach, welche gesellschaftlichen Zwänge, Möglichkeiten und Entwicklungen es bezüglich der Gruftbestattung gab, so keine eigene Familiengruft vorhanden war. Wir hoffen, ihn demnächst für einen Gastbeitrag gewinnen zu können.

Um die Wiener Michaelergruft und ihre Toten mitsamt Kleidung und Ausstattung, die uns wertvolle Einblicke in die Lebenswelten, Traditionen und Kultur des 18. Jahrhunderts gewähren, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, werden wir demnächst eine Fotodatenbank beim Bildarchiv Prometheus anlegen. Dort sollen sämtliche Fotografien aus der Gruft gesammelt werden. Über weitere Details werden wir hier auf dem Blog natürlich berichten.

Genauere Beschreibungen und Details zur Totenkleidung und Ausstattung oben gezeigter Mumien aus der Michaelergruft wird es in einem meiner nächsten Artikel geben.

 


[1]     Verordnungen zu Leichenbegängnissen in: Handbuch aller …Verordnungen und Gesetze vom Jahre 1784. Band 6. Joh. Georg Moesle, Wien 1786, 565.

[2]     Rainer 2005, 137.

Header Foto: Christina Sebastian, Juni 2014.


Literaturhinweise

Hengerer, Mark: Macht und Memoria. Begräbniskultur europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit. Köln u. a. 2005.

Hofmann, Cornelia: Dokumentation und Restaurierung von Totenkleidung aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. In: Karen Ellwanger/ Heidi Helmhold/ Traute Helmers/ Barbara Schrödl (Hrsg.): Das „letzte Hemd“. Zur Konstruktion von Tod und Geschlecht in der materiellen und visuellen Kultur. Bielefeld 2010, 25-40.

St. Michael 1288 – 1988, Ausstellungskatalog Historisches Museum 113, Wien 1988.

Mais, Adolf: Die Gruftbestattungen zu St. Michael in Wien. Bruderschaften. Bestattungen, Sargmalerei, Totenbeigaben. In: Leopold Schmidt (Hrsg.): Kultur und Volk. Beiträge zur Volkskunde aus Österreich, Bayern und der Schweiz. Wien 1954, 245-273.

Rainer, Alexandra (Hrsg.): Die Michaeler Gruft in Wien. Retten was zu retten ist. Wien 2005.

Prenner, Elke (Hrsg.): Triumph des Todes. Museum Österreichischer Kultur. Eisenstadt1992.

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2 comments

  1. Sehr spannender und interessanter Artikel … Mumien in Wien, ich dachte die gäbe es nur in Neapel.
    Lg Eva

    1. Christina Sebastian says:

      Liebe Eva, vielen Dank! Da hat man die Mumien & die spannende Gruft quasi direkt vor der Haustür und denkt doch nur an Italien… genau deswegen wollen wir die Gruft bekannter machen : ) Im nächsten Artikel werd ich noch weitere Bilder posten und die intressante erhaltene Kleidung der Verstorbenen genauer zeigen.
      Liebe Grüße
      Christina

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