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Totenkleidung aus der Michaelergruft

Totenkleidung aus der Michaelergruft

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achdem hier vor kurzem bereits die Geschichte der spannenden Wiener Michaelergruft vorgestellt wurde, soll heute ein genauerer Blick auf die Totenkleider und Grabbeigaben einiger besser erhaltener Mumien gerichtet werden.

Zur Orientierung und Verortung der Mumien zunächst ein Überblicksplan über die einzelnen Gruftbereiche:

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Grüfte und verschüttete/nicht ausgegrabene Grüfte 1550-1670. Plan aus dem Anhang von Rainer 2005, 157.

 

Die folgenden Beschreibungen sind vor allem auf Basis der Untersuchungen des Kunsthistorikers und Textilkonservators Michael Ullermann möglich, der die Totenkleidung der erhaltenen Mumien im Zuge der ersten Rettungsaktion 2004 untersucht hat und seine Beobachtungen in einem kleinen Beitrag bei Rainer 2005 festhielt. Bei meinem Besuch der Gruft im Juni 2014 waren die Mumien (wieder) derart verstaubt und an ungünstigen Stellen aufgebahrt – ganz zu schweigen von den bescheidenen Lichtverhältnissen und der limitierten Zeit in der Gruft -, dass eine detaillierte eigene Beschreibung leider kaum möglich war.


Frau N83

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Füße der Verstorbenen N83 mit zerfallenen Damast Pantoffeln. Foto: Christina Sebastian, Juni 2014.

Die erste hier vorgestellte weibliche Mumie wird entsprechend ihrer Sargbeschriftung als N83 bezeichnet (Header Bild). Sie stammt ursprünglich wohl aus der Herrengruft – dem damals zweitteuersten Bereich – und liegt dort auch heute zur Präsentation für die Öffentlichkeit.
Die Verstorbene trägt über der gängigen Unterwäsche der Zeit, einer Chemise aus Leinen, ein gut erhaltenes Kleid aus schwarzem Seidentaft. Aus praktischen Gründen wurden die Gewänder der Damen auf der Rückseite aufgeschnitten und bis auf die angezogenen Ärmel nur auf den Leichnam drapiert.1 Das Seidenkleid ist von den Schultern bis zum Saum mit zwei Rüschenbändern in Quetschfalten aus demselben Stoff verziert. Des Weiteren trägt N83 Seidenstrümpfe und elegante weiße Handschuhe aus Seidentaft. Zudem sind Reste einer Haube zu erkennen. Bei den Schuhen handelt es sich um cremefarbene Damast-Pantoffel mit hohem Absatz. Im Jahr 2005 waren diese, wie aus der damaligen Dokumentation hervorgeht, noch intakt; bei meinem Besuch im Juli 2014 musste festgestellt werden, dass die eleganten Pantoffel zerfallen sind (vgl. Abb. oben). Der Schaden passierte möglicherweise während der jüngsten Restauration der Särge.

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Pantoffel von N83, bei Rainer 2005, 72 vor der Restaurierung der Särge offenbar noch intakt.

Frau N107

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Verstorbene N 107, „die Schlafende“. Foto: Christina Sebastian, Juni 2014.

Die zweite weibliche Mumie (N107), welche sich derzeit wie die Verstorbene N83 ebenfalls in der Herrengruft befindet, wurde als eine der wenigen Damen wohl in der Maria-Candia-Gruft bestattet. Diese war die vornehmste und teuerste Gruft St. Michaels und bot durch einen Zufall die besten Bedingungen für eine Mumifizierung sowie den Erhalt der originalen Totenkleidung.
Die Verstorbene trägt eine Art Contouche, ein sehr lockeres, informelles Gewand aus schwarzer Seide. Verzierungen finden sich in Form von schwarzen Seidenschleifen auf ihrem Kleid und auf den dazu passenden schwarzen Lederschuhen. Diese waren der Sohle nach zu urteilen höchstwahrscheinlich ungetragen. Über ihrem Kopf befinden sich ebenso wie bei N83 Reste einer Haube.


Mann N88

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Verstorbener N88 mit Perückenresten, Seidenhemd und Seidenweste. Rainer 2006, 70.

N88, ein männlicher Verstorbener, der zufolge der Inschrift auf seinem Sargdeckel 1769 verstarb, wurde laut Mais 1954 in der Maria-Candia-Gruft bestattet. Aus den Totenprotokollen geht jedoch hervor, dass dort in diesem Jahr keine Beerdigungen stattfanden. In der Herrengruft gab es im Jahr 1769 allerdings drei männliche Neuzugänge: Franz Joseph Artmann, KuK Kammerdiener, Joseph Sabiz von Tandensperg, Mediziner des Hauses Liechtenstein und Graf Friedrich Casimir von Löwenwolde, Kämmerer und General der Cavallerie. Letzterer ist aufgrund seines Standes und seines fortgeschrittenen Alters von 78 Jahren am wahrscheinlichsten.
Der Verstorbene trägt ein ockerfarbenes Seidenhemd und darüber eine schwarze ärmellose Seidenweste, die fast bis an die Knie reicht. Darunter ist er mit einer Kniebundhose aus schwarzem Samt bekleidet. Außerdem haben sich die hellen Seidenstrümpfe des Toten erhalten sowie seine schwarzen Lederhalbschuhe mit Metallschließen. Ebenso wie bei den weiblichen Mumien war der Kopf des männlichen Verstorbenen ursprünglich bedeckt. Er trug eine Perücke, von der sich heute nur noch das Netz erhalten hat, während sich das darin einst eingeflochtene Echthaar zersetzt hat.


Material und Farbe der Totenkleidung

Die Totenkleidung der Michaelergruft besteht zu großen Teilen aus Seidengeweben. Diese waren jedoch nie in glänzender Satinbindung gewebt, sondern in Köper- und Leinwandbindung, die den Glanz der Seide etwas bricht. Außerdem sind Halbseidene Gewebe zu finden, bei denen sich das billige, weniger haltbare Schussmaterial (meist Leinen) so gut wie vollständig zersetzt hat.

Neben dem etwas ‚demütigeren‘, nur gebrochen glänzendem Material wurde man auch in Bezug auf die Farbe der Totenkleidung weltabkehrend. Michael Ullermann weist dabei auf den auffälligen Kontrast zur sonst so farbenfrohen Kleidung des Barock und Rokoko hin.2  So sind die erhaltenen Toten der Gruft dagegen vor allem in Schwarz gekleidet. Hierbei muss bedacht werden, dass besonders tiefes Schwarz im 18. Jahrhundert immer noch sehr teuer und daher eher den reichen Bevölkerungsteilen vorbehalten war. Ob man daraus jedoch bereits Rückschlüsse auf die finanzielle und soziale Stellung der Verstorbenen ziehen kann oder ob die Farbe für Totenkleidung mittlerer Schichten nicht doch schon weitgehend üblich war, kann dadurch nicht sicher beantwortet werden. Neben der vornehmen Konnotation der Farbe, welche sie vor allem durch die Spanische Hoftracht bekam, kann die Verwendung von tiefem Schwarz als Farbe der Mönche in Hinblick auf ein Leben nach dem Tod auch mit Frömmigkeit in Verbindung gebracht werden. Sellés-Ferrando 2004 weist beispielsweise auf eine spanisch-habsburgische Verordnung vom 16. November 1695 hin, bei der die Trauerkleidung am Hof geregelt wurde. Dabei wurden den Männern bis zu den Füßen reichende schwarze Mäntel und den Damen Nonnentracht vorgeschrieben. Diese Trauerkleidung bezeichnet Sellés-Ferrando interessanterweise als einzige Hofkleidung, welche je die Tracht der bürgerlichen Gesellschaft nachgeahmt hat.3


Grabausstattung und -beigaben aus der Michaelergruft

Die Verstorbenen der Wiener ‚Mittelklasse‘ wurden in Holzsärgen bestattet, die mit einfachen, bunten Malereien verziert waren – ikonographisch meist Vanitas-Symbole, also Totenschädel mit gekreuzten Knochen, Studengläser, erloschene Kerzen, Engelsköpfe, Blumen und Rocaillen. Innen waren die Särge mit Holzspänen ausgelegt, die die Leichenflüssigkeit aufnehmen sollten. Um diese unschönen Späne zu verdecken, wurden sie mit grober Leinwand bedeckt, die jedoch fast überall gänzlich zerstört ist. Bedeckt wurde die darauf drapierte Leiche anschließend mit einem ‚Übertan‘ aus Seide oder Leinen, der meist trotz Kontakt mit der Leiche, gut erhalten ist. Den Verstorbenen gab man ins Jenseits Beigaben mit, die als Zeichen für einen gläubigen Christen standen. So sind in fast allen Särgen Handkreuze aus Holz oder Wachs und Rosenkränze zu finden. In etwa 30 Särgen erhielten sich Gürtelriemen aus Leder mit einem Ring aus Bein, die auf eine Zugehörigkeit der Verstorbenen zu einer der damals in Europa relativ verbreiteten Gürtelbruderschaften hinweisen. Seltener kamen als Grabbeigaben zudem auch Totenkronen vor, die aus Rosmarinzweigen bestanden, welche man auf Eisenringe geflochten hatte. Verziert waren diese mit Papierblüten. Solche Kronen gab man unverheiratet verstorbenen Mädchen als Zeichen ihrer Reinheit mit ins Grab, sozusagen als Ersatz für den Brautkranz.4  Rosmarin wurde dabei verwendet, da man ihm apotropäische Wirkung zusprach – er vertrieb also die bösen Geister. Zudem wurde er neben anderen Kräutern  gerne in den Särgen verteilt, um den Verwesungsgeruch zu überdecken.5

N64 grabbeigaben
1. N64 mit Totenkranz und Wachskreuz, 2. N 62, Gürtelband und Rosenkranz, 3. N 64 Rosmarin. Fotos: Rainer 2005, 66.

[1] Ebenso wurde bei Mumien aus der Dresdner Frauenkirche mit den weiblichen Verstorbenen verfahren. Siehe dazu Hofmann 2010, 34.

[2] Ullermann 2005, 68.

[3] Sellés-Ferrando 2004, 184.

[4] Sörries 2002, 332.

[5] Metken 1988, 10ff.


Literatur

Hofmann, Cornelia: Dokumentation und Restaurierung von Totenkleidung aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. In: Karen Ellwanger/ Heidi Helmhold/ Traute Helmers/ Barbara Schrödl (Hrsg.): Das „letzte Hemd“. Zur Konstruktion von Tod und Geschlecht in der materiellen und visuellen Kultur. Bielefeld 2010, 25-40.

Mais, Adolf: Die Gruftbestattungen zu St. Michael in Wien. Bruderschaften. Bestattungen, Sargmalerei, Totenbeigaben. In: Leopold Schmidt (Hrsg.): Kultur und Volk. Beiträge zur Volkskunde aus Österreich, Bayern und der Schweiz. Wien 1954, 245-273.

Metken, Sigrid: Hochzeitskrank und Totenkrone – der Rosmarin im Volksbrauch. In: Volkskunst 11/1, 1988. 10-17.

Sellés-Ferrando, Xavier: Spanisches Österreich. Wien 2004.

Sörries, Reiner: Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Bd. 1, Kassel 2002.

Ullermann, Michael: Ausstattung und Kleidung von Toten in der Michaeler Gruft. In: Alexandra Rainer (Hrsg.): Die Michaeler Gruft in Wien. Retten was zu retten ist. Wien 2005. 64-73.

 

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